Eine Analyse: Rezo versus FAZ – Kampf um Wahrheit und Vertrauen

Rezo versus FAZ: Warum der Schlagabtausch so unrühmlich ausging und was am Ende bleibt

Fotocollage: Bildschirmfotos aus den youtube-Videos https://www.youtube.com/watch?v=hkncijUZGKA und https://www.youtube.com/watch?v=V4As2KYjryw

Warum der Schlagabtausch so unrühmlich ausging und was am Ende bleibt

Mit seinem Video „Die Zerstörung der Presse“ hat sich Rezo neben Boulevardblättern auch eine seriöse Zeitung wie die FAZ vorgeknöpft. Er warf ihr vor, Falschaussagen über ihn verbreitet zu haben. Ein harter Vorwurf, den er mit einer eigenen Untersuchung und Quellen zu belegen versuchte. Die FAZ brauchte ihre Zeit. Doch dann schlug sie zurück. Und ich wähle diese Formulierung bewusst so, denn der FAZ-Redakteur Constantin van Lijnden schlug tatsächlich zurück. Nicht nur schriftlich, sondern auch in einem Video.

Dabei weist er aber nicht nur auf angebliche Fehler, Ungenauigkeiten und Missinterpretationen von Rezo hin, sondern schießt auch persönlich gegen den Youtuber. Rezo brachte später ein Video zu den Reaktionen heraus, es folgte eine weitere Stellungnahme der FAZ, diesmal ohne Nennung eines Autors.

Wut ist selten konstruktiv

Der Unmut ist van Lijnden – ich wage die Behauptung, er war stinkwütend – sehr deutlich anzumerken und menschlich auch nachvollziehbar. Doch wäre der Vertrauensbildung in die Presse nicht mehr gedient, genau diese Befindlichkeiten zurückzustellen und das Konstruktive in Rezos Kritik in den Fokus der Betrachtung zu rücken? Van Lijndes Reaktion hinterlässt mehr als einen nur bitteren Nachgeschmack. Denn er schafft es nicht, das gemeinsame Ziel, sich für eine auf Vertrauen basierende Wahrheitsfindung einzusetzen, im Auge zu behalten.

Die Verteidigung der FAZ und die äußerst arrogant wirkenden Zurechtweisungen des Youtubers bis hin zum Vorwurf, Rezos Vorgehen sei „vermessen und größenwahnsinnig“, rücken die Diskussion auf die völlig falsche Ebene. Da hilft es auch nicht, wenn van Lijnden am Ende seines Videos einen versöhnlichen Abschluss versucht, nachdem der Dampf aus dem Kessel gewichen ist.

Berechtigte Medienkritik wird ignoriert

Verschlimmernd kommt hinzu, dass van Lijnden wichtige Hinweise von Rezo schlicht ignoriert oder als unproblematisch abtut. Beispiel: Selbstverständlich wirkt eine Frage in einer Schlagzeile anders als eine Aussage. Dies kann doch der Redakteur nicht mit dem Argument, die Frage wäre relevant und würde im Artikel beantwortet, vom Tisch wischen. Es geht eben nicht nur um Suggestivfragen, die auch van Lijnden nicht zulassen würde.

Eine Frage in einer Überschrift, in der das Ergebnis der im Artikel vorgenommenen Prüfung oder Analyse bewusst offen gelassen wird, erzeugt eine ganz andere Aufmerksamkeit bzw. weckt mehr Neugier oder sogar Ängste als die Benennung des Ergebnisses. Van Lijnden gibt ja im Video selbst zu, dass man im Artikel die in der Überschrift formulierte Frage „Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen: Ist das Grundgesetz tatsächlich in Gefahr?“ zu Recht im Ergebnis verneinen müsse. Und warum lautet die Überschrift dann nicht beispielsweise „Demonstranten irren sich: Grundgesetz nicht in Gefahr“?

Fragen heißt nicht Sagen

Es ist eine sich weiter verbreitende Unsitte in den Medien, Artikel mit Fragen zu überschreiben, als ob man hier FAQs und nicht Zeitungsartikel konsumieren würde. Wir Leser brauchen insbesondere in den schwierigen Fragen und Themen unserer Zeit möglichst klare Aussagen, die schnell zu rezipieren sind – das beginnt schon mit der Überschrift.

Vermutlich mag es daran liegen, dass ich eher wie Rezo in der Onlinewelt zuhause bin und deswegen seinen Punkt auch besser nachvollziehen kann: Denn wer die Onlinewelt gut kennt, der weiß, dass man hier von Schlagzeilen nur so bombardiert wird. Seien es die Push-Nachrichten auf dem Handy, die geteilte Vorschau eines Artikels auf Facebook oder die personalisierte Teaser-Zusammenstellung beim Öffnen eines Browsers. Bei der Fülle der um Aufmerksamkeit heischenden Informationen bleibt vielen nichts anderes übrig, als rein über die Schlagzeile quasi im Vorbeiscrollen die Essenz der Information aufzunehmen, ohne den Artikel genauer oder überhaupt zu lesen.

Frage der Medienwirkung

Selbstverständlich spielen auch kommerzielle Interessen hier eine Rolle, denn mehr Aufmerksamkeit und mehr Klicks können zu mehr Einnahmen führen. Weder Rezo noch van Lijnden gehen allerdings auf diesen Punkt explizit ein. Rezo hat aber völlig Recht damit, dass sich mit der Verbreitung solcher Schlagzeilen mit Fragezeichen doch Spekulationen, Ängste und Verschwörungstheorien eben nicht gut bekämpfen lassen, wenn ich weiß, dass viele Menschen die Artikel gar nicht mehr lesen.

Stattdessen kann es passieren, dass sich Fake News und Verschwörungserzählungen erst recht verstärken und verbreiten. Selbstverständlich kommt es letztlich auf die Qualität des Artikels an und nicht allein auf eine Zeile Überschrift, dennoch wirft es ein seltsames Licht auf ein Medium, wenn die Schlagzeilen vermehrt zu Marktschreiern mutieren.

Klicks versus Qualität

Gerade in den Online-Ablegern verschiedener Print-Mütter geht der Kampf um Aufmerksamkeit, Klicks und Lesedauer häufig zulasten journalistischer Qualität – ich erinnere mich hier an die berechtigte Kritik von Jan Böhmermann im Neo Magazin Royale gegen das Spiegel-Onlineangebot „Bento“. Dieses scheint sich drei Jahre später aus meiner Sicht verbessert zu haben.

In dem Video wird auf eine interessante Rede verwiesen: In seiner Funktion als Präsident des Bundes Deutscher Zeitungsverleger stellte Mathias Döpfner beim Zeitungskongress 2017 zum Thema Digitalisierung die Frage: „Schreiben wir einen Text neu oder redigieren ihn etwas, weil die in Echtzeit erhobenen Statistiken darauf hindeuten, dass er mit ein, zwei Änderungen, mit einem etwas anderen Spin noch viel mehr gelesen würde?“

Herausforderungen einer sich ändernden Medienlandschaft

Rezo baut mit seiner hohen Reichweite viel Druck auf. In van Lijndens Eifer um den Schlagabtausch mit diesem dadurch mächtig erscheinenden Youtuber scheint sich der FAZ-Redakteur zu sehr in seiner eigenen Vorstellungswelt verloren zu haben. In dieser rezipieren und verstehen die Leserinnen und Leser wohl völlig unvoreingenommen Zeitungsartikel und deren Onlineversionen in ihrer Gänze und bilden sich dann eine fundierte Meinung. Die gelebte Praxis stellt sich jedoch etwas komplizierter dar.

Die Kommunikation hat sich extrem beschleunigt bis hin zu Live-Tickern und -Übertragungen, unterschiedliche Medien und Kanäle konvergieren. Der Markt ist hart umkämpft und nicht zuletzt mischt spätestens seit Etablierung der sozialen Medien auch jede beliebige Person mit, die es irgendwie schafft, mit ihren Inhalten Aufmerksamkeit zu erzeugen. Van Lijnden ignoriert – bewusst oder unbewusst – diese sich verändernde Medienlandschaft und ihre Herausforderungen. Dabei gab es im eigenen Hause doch ein Paradebeispiel dafür, dass selbst gestandene Journalisten nicht vor Manipulation in der Onlinewelt gefeit sind.

Die Vorgeschichte: FAZ-Innenpolitikchef fiel auf Youtube-Video herein

Ich beziehe mich hier auf das von Übermedien zusammengefasste Geschehen im Juni 2019 vor dem Hintergrund des ersten „Zerstörungsvideos“ von Rezo gegen die CDU auf Youtube. Es begann damit, dass Jasper von Altenbockum, verantwortlich für das Ressort Innenpolitik bei der FAZ, auf Twitter ein Video des höchst umstrittenen Youtubers Actuarium mit dem Titel „Rezo arbeitet für Werbekonzern | Die Illusion der privaten, authentischen Youtuber“ teilte.

In diesem wurde laut Übermedien u.a. behauptet, „die Videos im Kanal von Rezo seien nicht Rezos Videos, und was er in diesen Videos sage, sei nicht seine Privatmeinung“ (dieses Video wurde vom Youtuber Actuarium laut eigener Aussage aufgrund einer Abmahnung selbst gelöscht). Diese falschen Behauptungen passten aber wohl viel zu gut in das Meinungsbild des Journalisten, der schon früher heftige Kritik an Rezo und generell der Youtube-Welt geübt hatte. Wenige Tage später löschte er den Tweet und entschuldigte sich.

Halbe Entschuldigungen sind keine Entschuldigungen

Wichtig hierbei ist aber: Von Altenbockum entschuldigte sich eben nicht für die Verbreitung von unwahren Behauptungen, sondern für „die missverständliche Formulierung“. Bis zum Ende konnte der gestandene Journalist also nicht zugeben, nicht redlich gehandelt zu haben und auf ein manipulatives Youtube-Video hereingefallen zu sein. Als er in der phoenix-Show „Bilder der Geschichte“ am 7. Februar 2020 darauf angesprochen wird, redet er sich um Kopf und Kragen.

Er scheint gar nicht begriffen zu haben, dass Teilen gleichbedeutend mit Verbreiten ist und dass er sich damit auch indirekt den Aussagen des Videos anschließt, solange er sich nicht davon distanziert. Von gesunder Selbstkritik auch hier keine Spur. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter zeigte, wie es anders geht: Auch er fiel auf das Video von Actuarium herein, räumte aber später einen „großen Fehler“ ein und entschuldigte sich explizit für das ungeprüfte Teilen des Videos.

Umgang mit Kritik entscheidend

Und hier kommen wir zu einem Kern des Konflikts: Der Umgang mit Kritik und darin inkludiert die Fähigkeit zur Selbstkritik ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Wahrheitsfindung und die dafür notwendige Vertrauensbasis. Wenn Rezo diese Geschichte aus 2019 nochmal ausrollt und darauf hinweist, dass bisher weder von Altenbockum selbst noch die FAZ dieses Verhalten selbstkritisch bewertet haben, ist dies vor diesem Hintergrund also nachvollziehbar. Wie reagiert der jüngere FAZ-Kollege darauf, der ja selbst an einigen Artikeln über Rezo beteiligt war?

Ein Redakteur schäumt und schießt hart zurück

Leider nicht im Sinne des Vertrauens in die Presse: Nicht nur, dass er den damaligen Tweet als „unglücklich formuliert“ verharmlost, Rezos Forderung, dass sich die FAZ-Kollegen von von Altenbockum distanzieren sollten, sei „eine Unverschämtheit“. Van Lijnden bezeichnet das gar als „stalinistische Selbstbezichtigungsmethoden“. Der Redakteur sieht in Rezos Forderung die indirekte Aufforderung zum Rauswurf eines geschätzten Kollegen, der in seinem Leben „für den deutschen Journalismus tausendmal mehr geleistet hat als du vermutlich jemals wirst“.

Rezo solle sich doch nochmal anschauen, was er zum Thema Menschenfeindlichkeit zu Beginn seines Videos gesagt hat, und dann in den Spiegel schauen. Obwohl van Lijnden in seinem Stuhl verharrt und augenscheinlich von einem Teleprompter abliest, sieht man ihn innerlich vor Wut schäumen. War das klug? Nein. Aber nicht nur deswegen, weil dies Rezo schon fast dankbar-genüsslich in seinem Reaktionsvideo aufgreifen konnte.

Van Lijnden erweist seiner Zeitung einen Bärendienst

Man kann diesen Teil im Video von van Lijnden als Pars pro Toto für das Scheitern des Schlagabtauschs mit Rezo betrachten. Denn letztlich liefert die FAZ über ihren Redakteur doch genau den Hinweis darauf, dass manchen Journalisten anscheinend die Loyalität zu einem Kollegen bzw. zu ihrem Arbeitgeber wichtiger ist als die Wahrheitsfindung.

Natürlich ist auch Rezo dafür verantwortlich, dass die Affäre von 2019 wieder hochgekocht wird. Und natürlich ist es schwierig für einen erfahrenen Journalisten, dass dieser längst gelöschte, aber hochpeinliche Tweet wohl doch nicht so leicht aus der Welt zu tilgen ist. Doch van Lijnden verkennt hier völlig die inzwischen symbolträchtige Bedeutung dieser Affäre und – das ist das Bittere daran – lässt damit die so seriöse FAZ erst recht fragwürdig erscheinen.

Fatal: Das Verhalten eines erfahrenen Journalisten

Ich weiß nicht, ob der Fall intern in der FAZ besprochen wurde. Vielleicht haben auch Kollegen versucht, von Altenbockum zu überzeugen, seinen Fehler einzusehen. Doch spätestens der TV-Auftritt in „Bilder der Geschichte“ hat sehr deutlich gezeigt, dass der FAZ-Innenpolitikchef die berechtigte Kritik entweder nicht verstanden hat oder sich sein eigenes Fehlverhalten gar nicht eingestehen will.

Vermutlich hat er einfach nicht damit gerechnet, in dieser Sendung nochmal auf diesen Fall angesprochen zu werden, doch seine Reaktion hat nun natürlich fatale Folgen. Vielleicht nicht für die Stammleserschaft der FAZ, wohl aber für andere, die sich nun in ihrer kritischen Grundhaltung den Zeitungen gegenüber nur bestätigt sehen.

Lügenpresse!

Denn da haben wir den Typus von Journalisten, der berechtigterweise Kritik auslöst und Misstrauen erregt. Wenn ein Journalist seine persönlichen Interessen oder in dem Fall vermutlich seinen Stolz über seine Aufgabe als Journalist stellt, zur Wahrheitsfindung beizutragen, dann wird das Vertrauen in die Arbeit dieses Journalisten zu Recht beschädigt. Da hilft es leider auch nicht mehr, wenn ein van Lijnden von Altenbockum für seine Leistungen lobt und sich für ihn quasi verbürgt. Wenn sich dieser eine Fehler dann sogar noch auf eine ganze Zeitung überträgt, weil sie systemisch mit dem Fehlverhalten eines Mitarbeitenden keinen Umgang findet, ist es umso schlimmer. Denn damit kann sich das Misstrauen auf die ganze Zeitung und eine ganze Branche übertragen.

„Lügenpresse“ – plötzlich klingt diese pauschale Diffamierung für diejenigen, die generell Schwierigkeiten mit Differenzierung haben, gar nicht mehr so unberechtigt. Und genau das können wir eben derzeit nicht gebrauchen. Auch einige Politiker haben sich schon mehr als nur verschätzt, was die mangelhafte Aufarbeitung von Fehlern der Vergangenheit auslösen kann. Ich denke da sofort an den – im doppelten Wortsinn – „Fall“ des Karl-Theodor zu Guttenberg. Oder recht aktuell an die Lobbyismus-Affäre um Philipp Amthor, über die der junge Politiker mehr als nur stolpern könnte.

Sieger gibt es keine

In diesem Kampf um Wahrheit und Vertrauen konnte es nur Verlierer geben. Jetzt kann man darüber streiten, wer für diesen unrühmlichen Ausgang des Schlagabtauschs zwischen Rezo und der FAZ mehr Verantwortung trägt – beide haben ihren Anteil daran. Während van Lijnden schon mit seiner Reaktion mehr Schaden angerichtet hat als seiner Zeitung zu helfen, ist auch Rezo am Ende über sein Ziel hinausgeschossen.

Denn die FAZ steht zwar offensichtlich mit dieser Onlinewelt und ihren Influencern auf Kriegsfuß. Sie stellt sich in dem Versuch, Deutungs- und Meinungshoheit zu bewahren, äußerst ungeschickt an. Trotzdem zählt sie weiterhin zu den wichtigsten Qualitätsmedien in Deutschland. Dass sie sich im Gefecht mit Rezo derart nachteilig abgekämpft und letztlich resigniert hat, statt am konstruktiven Dialog mitzuwirken, in der sie eine wichtige Rolle hätte einnehmen können, kann wohl deswegen kaum in Rezos Sinne gewesen sein.

Was am Ende bleibt

Doch was bleibt nun Konstruktives übrig? Rezo freut sich in seinem Folgevideo über viele positive Reaktionen. Doch reicht das? Ich befürchte: nein, das reicht lange nicht. Dafür ist dieses Lehrstück, wenn man es denn so bezeichnen möchte, noch zu wenig dort eingesickert, wo es gebraucht wird. Schulen und Journalistenschulen – ich selbst bin Absolvent der katholischen Journalistenschule ifp – können den Stoff sicherlich gut gebrauchen und daraus auch Handlungsempfehlungen ableiten.

Auch Medien- und Sozialwissenschaftler werden vielleicht in Zukunft auf die Diskussion Bezug nehmen und dankbar für ein Beispiel aus der Praxis sein. Aber was ist mit den aktiven Journalisten sowie Medienschaffenden und vor allem mit denen, deren Zweifel auch an seriösen Zeitungen zunehmen und die jetzt erst recht versucht sind, „Lügenpresse“ zu skandieren?

Meine Handlungsempfehlungen

Am Ende möchte ich mich ganz im Sinne des ursprünglichen Vorhabens von Rezo konstruktiv einbringen und Handlungsempfehlungen geben, wie wir Vertrauen schaffen können, um die Basis für die Wahrheitsfindung zu stärken. Dabei beschränke ich mich auf die Perspektive der Medienschaffenden, da ich selbst einer bin:

  • Die Arbeit des Presserats gehört auf den Prüfstand. Die freiwillige Selbstkontrolle der Printmedien und ihrer Onlineauftritte mit ihren Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten stößt in dieser komplexen Medienwelt an ihre Grenzen und ist auch nicht mehr zeitgemäß. Es ist bezeichnend, dass etwa ein Onlineangebot wie der BILDblog aus meiner Sicht hier als Kontrollinstanz viel mehr Wirkung entfaltet als der Presserat mit der Veröffentlichung von Rügen. Tagtäglich werden in Deutschland Artikel geschrieben und publiziert, in denen Teile oder die ganze Geschichten frei erfunden sind, die Menschenwürde mit Füßen getreten wird oder rein wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen. Vergleiche ich das mit der öffentlichen Liste der Rügen, der schärfsten Sanktion des Presserats, so ist hier vorerst ein deutliches Missverhältnis zu erkennen, welches hinterfragt werden sollte. Natürlich soll der Presserat eben nicht die Aufgabe von Journalisten übernehmen, die kritisch über die Arbeit von Kollegen berichten. Es sollte aber kritisch geprüft werden, ob das Beschwerdesystem und die Sanktionsmöglichkeiten überhaupt genügend Wirkung im Sinne des Auftrages entfalten können, zu denen laut Presserat schließlich gehört, „das Ansehen der deutschen Presse zu wahren und gleichzeitig die Pressefreiheit zu schützen„. Diese Prüfung sollte auch vor dem Hintergrund erfolgen, dass sich, wie der Fall Rezo eindrucksvoll zeigt, Deutungshoheiten verschieben können hin zu Plattformen wie Youtube, die aber gar nicht im Zuständigkeitsbereich des Presserats liegen.
  • Medienschaffende müssen in ihrer Arbeitsweise transparenter werden. Für viele Rezipienten entsteht Unsicherheit und Misstrauen, weil sie nicht verstehen bzw. nicht nachvollziehen können, wie die Recherche funktioniert, welche Quellen warum und wie benutzt wurden, wie Nachrichten ausgewählt und priorisiert werden, was nun Berichterstattung und was Meinung ist usw. Mir fällt hierbei als Beispiel der Blog der Tagesschau ein, in dem schon umstrittene Berichterstattung begleitend kommentiert und erklärt wurde. Insbesondere die journalistischen Gattungen, in denen die Grenzen zwischen Bericht und Meinung verschwimmen, müssen der Leserschaft besser erklärt und auch klar gekennzeichnet sein.
  • Die Redaktionen brauchen eine bessere Fehlerkultur. Viel Erfahrung als Journalist schließt Fehler nicht aus, Fehler sind menschlich und sie sind nicht zu verhindern. Der Umgang mit den Fehlern und die Aufarbeitung ist aber letztlich entscheidend für die Vertrauensbildung. Redaktionen schaffen dann Vertrauen, wenn die Leserschaft erfährt, dass die Journalisten nicht nur zu ihren Leistungen, sondern auch zu ihren Fehlern stehen. Fehler unter den Teppich zu kehren oder sie nur in Teilen zuzugeben ist noch nie eine gute Lösung gewesen, in der Regel geht diese Strategie nach hinten los.
  • Medien sollten gemeinschaftlich die Nachrichtenwelt entschleunigen. Dies mag erst mal völlig naiv anmuten, aber ich möchte es erklären: Reine Schnelligkeit war noch nie ein guter Garant für Qualität, denn je mehr das Tempo zur Zielmarke wird, umso mehr leidet die gebotene Sorgfalt. Natürlich brauchen Medien aktuelle Relevanz, doch es kommt doch nicht selten vor, dass manche über das Ziel einer schnellen Berichterstattung hinausschießen und statt Fakten Spekulationen verbreiten, nur um den „Live-Ticker“ zu füttern und die Sensationslust der Leserschaft zu befriedigen – dies geht zulasten der Wahrheit und des Vertrauens in die Medien. Insbesondere aufgrund einer mobilen Kommunikation, ihren Möglichkeiten sowie daraus entstehenden Erwartungen ist diese Empfehlung sicherlich eine der größten Herausforderungen, denn natürlich wird das Medium mit der schnellsten als Push-Nachricht verbreiteten Eilmeldung auch als erstes wahrgenommen und rezipiert.
  • Die Redaktionen brauchen eine fundierte Strategie, wie sie Verschwörungserzählungen und Fake News begegnen. Berichte ich über Falschdarstellungen und verstärke ich sie eventuell dadurch noch? Wenn ich einen Verschwörungstheoretiker zitiere, bereite ich diesem vielleicht erst recht eine Bühne? Wie kann ich Unwahrheiten aufdecken, ohne sie erst recht zu verbreiten? Diese Fragen sind hochaktuell und sollten nicht als Fragen am Rande im Alltag untergehen, sondern zielführend beantwortet und strategisch im Redaktionsbetrieb verankert werden.
  • Medienschaffende müssen laufend über aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse vor allem aus der Medienwirkungsforschung, Sozialwissenschaft und Psychologie informiert sein. Aber eben nicht mit dem rein wirtschaftlichen Fokus, sondern mit dem Fokus auf eine ethisch fundierte Arbeit, die sich nicht nur an einzelnen Ziffern im Pressekodex entlanghangelt bzw. diesen gar zu biegen versucht, sondern sich in einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung begreift. Aus diesen Erkenntnissen heraus ist die Arbeit immer wieder neu auszurichten. Das o.g. Problem des Umgangs mit der wachsenden Informationsflut ist etwa schon ein lange diskutiertes Thema in der Medienwirkungsforschung. Genauso auch die Selektion von Nachrichten auf Seite der Medienschaffenden und das sogenannte „Framing“, das in jüngster Vergangenheit sehr stark negativ konnotiert wird, ganz nüchtern betrachtet aber alltägliche, journalistische Praxis beschreibt.

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