Mit Piepsen fing es an

(M)eine kleine Geschichte der Musikproduktion – die auch eine technische ist

Er tutete, er piepste, er rauschte. Aus einer kleinen Lautsprecherbox, die in der Tastatur eingebaut war. Der Monitor hatte vor allem eine Farbe voll drauf: Grün in allen Varianten. Ich beschreibe meinen ersten Computer, den ich nach langem Betteln gebraucht vom Nachbarn bekam: einen Schneider CPC 6128 . Er hatte einen ähnlichen Tonerzeuger wie auch der Gameboy eingebaut. Hier kann man sich auf youtube anhören, wie das geklungen hat. Als Flötist und Trompeter konnte ich keine mehrstimmigen Stücke spielen. Also brauchte ich Hilfe, um polyphone Klänge zum Leben zu erwecken. Klar, auf dem Keyboard meiner jüngeren Schwester klimperte auch ich herum, aber die Ergebnisse waren nicht ganz so schön anzuhören. Und schon als Kind faszinierte es mich, selbst Stücke zu komponieren und auch mit mehreren Instrumenten aufführen zu lassen.

Der Schneider CPC 6128-Computer mit Monitor, Tastatur und Diskettenlaufwerk
Ein Schneider CPC 6128, allerdings in der Variante mit Farbmonitor. Foto: Wikimedia Commons

Da stand er also nun, dieser Computer, und natürlich war mein Zugang ein spielerischer im wahrsten Sinne des Wortes. Doch die Spieleauswahl war nicht die größte. Im Freundeskreis war ich der Einzige mit so einem Ding, Amiga und Commodore 64 waren beliebtere Geräte. Vor allem zum Spielen. Für meinen CPC tippte ich sogar Programmcodes aus Zeitschriften ab. Ja, kein Witz: hunderte Zeilen BASIC- und Maschinencode für ein kleines Spielchen. Doch die Musik etwa der Summer Games und Winter Games weckte meine Neugier. Wie kann ich selbst dem Computer Töne entlocken?

Mit BASIC zur allerersten Produktion

Keiner in der Familie kannte sich aus. Also griff ich zum dicken Handbuch und brachte diesem piepsenden Etwas als Zehn- oder Elfjähriger aufwändig mit Hilfe von BASIC-Programmcode das Lied „Oh when the Saints“ bei. Dreistimmig. Das war quasi mein erster Schritt in die Welt der digitalen Musikproduktion. Den damaligen Aufwand, einem technischen Gerät Töne beizubringen und zu entlocken, kann ich heute schwerlich meinem Kind und meinen Nichten und Neffen erklären. Denn die können nur mit ein paar mal Fingertippen per App einen taschengroßen Supercomputer in ein Keyboard und Tonstudio verwandeln. Hier ein Auszug aus dem Original-Handbuch:

Auszug aus dem Handbuch des CPC-Computers zum Sound-Befehl
Seite aus dem Original-Handbuch des CPC 6128 mit Erklärung des Soundbefehls

ScreamTracker: eine Software, die alles veränderte

Jahre später war es so weit. Lange genug hatte Zeitungen ausgetragen, um das Geld zu sparen: Ich kaufte meinen ersten PC, ein 486 DX 2/66. Für eine Soundkarte hatte das Geld nicht gereicht. Doch ein Treiber machte es möglich, die Klänge durch den eingebauten PC-Lautsprecher zu schicken. Das Ergebnis reichte mir, um erste Versuche mit der von Future Crew entwickelten Software ScreamTracker zu starten. Ein Mehrspur-Sequenzer, der für mich bis dahin Unglaubliches in der Musikproduktion ermöglichte: mehrstimmige Stücke zu komponieren und gleichzeitig zu produzieren! In einer späteren Version von ScreamTracker konnte man bis zu 32 Kanäle für ein Stück gleichzeitig nutzen und mit beliebigen Samples bestücken. Meine Spielwiese war plötzlich riesengroß geworden.

Mit einem der bekanntesten ScreamTracker-Musikstücke – der Begleitmusik zur PC-Demo UNREAL ][ – Second Reality – stellte Future Crew 1993 mit der Begleitmusik eindrucksvoll unter Beweis, was aus ihrem Trackerprogramm herauszuholen war:

Die Demo wurde auf der Assembly ’93 veröffentlicht und gewann den ersten Platz in der Kategorie IBM PC compatible. Übrigens: Wer mal auf S3M-Originaldateien des ScreamTrackers stoßen sollte – der verbreitete VLC-Player spielt sie bis heute ab.

Die eigenen Ergebnisse waren erstaunlich, auch wenn die Qualität der vorhandenen Samples die Freude etwas schmälerte. Doch für mich und sicherlich für viele andere war das ein Meilensprung, denn verwandelte sich dadurch doch das Jugendzimmer in ein digitales Musikstudio. Mein bester Freund und ich produzierten immer abwechselnd ein Lied und lernten viel dabei. Mein Freund nutzte ein anderes Trackerprogramm, das Grundprinzip blieb jedoch dasselbe. Hier ein halbwegs vorführbares Stück, das ich in den 1990ern als Jugendlicher mit ScreamTracker komponierte und produzierte:

ScreamTracker-Produktion von 1997: „BigMix“, © Dominic Winkel

MIDI verknüpfte die Musikwelten

Doch was in der Musikproduktion fehlte, war die Verbindung in die andere Welt der Musik, nämlich die mit den Notenpartituren. Der MIDI-Standard baute die Brücke. Bei mir zuerst mit Notationsprogrammen, deren Partituren ich am Computer mit den zugeordneten Instrumenten mehrstimmig abspielen konnte. Das wiederum machte mir es möglich, erste Arrangements und Eigenkompositionen auch in Notenform zu bringen und z.B. in eigenen Chören auszuprobieren. Wer wie ich eine Standardsoundkarte besaß, bekam allerdings beim Vorspielen der Noten nur die künstlich nachgebildeten Klänge der Instrumente zu hören. Das war kein Genuss, vor allem nicht im Vergleich zu den Klängen der Trackerprogramme, mit denen ich auch parallel weiterarbeitete.

Klangsynthese versus Sampling

Die bekannte Soundkarte Gravis Ultrasound konnte dagegen schon auf Samples von echten Instrumenten zurückgreifen – der Klangunterschied war ein gewaltiger. Während ich mich mit synthetischen Klängen meiner ersten Soundkarte zufriedengeben musste, besaß mein bester Freund eine Gravis Ultrasound. Und so musste ich eine zeitlang inbesondere bei Computerspielen den Klangunterschied mit Fassung ertragen.

Hier eine Original-Demo der Gravis Ultrasound, in der die klanglichen Unterschiede zwischen Klangsynthese und samplebasierten Klängen sehr deutlich werden.

Doch auch ich rüstete auf – genauso wie Creative. Und so war ich dann mit der Sound Blaster AWE 64 in der Lage, selbst erstellte Samplebibliotheken in Form von sogenannten Soundfonts für die MIDI-Wiedergabe einzusetzen. Plötzlich machte MIDI auch klanglich Spaß. Ich verbrachte viel Zeit damit, MIDI-Dateien zu sammeln und mit unterschiedlichen Soundfonts abzuspielen, um die Samplebibliotheken immer weiter zu optimieren. Zeitweise probierte ich sogar, eigene Instrumente wie Flöte und Trompete selbst aufzunehmen und zu sampeln.

„AB In die Arbeitslosigkeit“ (1999/2009), dieses dystopische Motto war das Motto meines Abiturjahrganges 1999. Zum Abifilm, den ich zusammen mit zwei Freunden produzierte, komponierte und produzierte ich die Musik – mit einem Notationsprogramm und Soundfonts. Diese Version hier habe ich zehn Jahre später neu gesampelt. Das kurze Intro nimmt Bezug zum ausgewählten Lied des Jahrgangs: Summer of ’69 von Bryan Adams. Es folgt die Musik zum Vor- und Abspann. © Dominic Winkel

Die nächste musikalische Ära begann

Die nächste Ära in der Musikproduktion im Homestudio hatte längst begonnen: 1996 entwickelte Steinberg die Virtual Studio Technology (VST), dies sollte der bis heute bekanntesten Digital Audio Workstation Cubase zum großen Durchbruch verhelfen. Cubase vereinte das, was vorher für mich nicht praktikabel vereinbar war: ich konnte die MIDI-Schnittstelle nutzen, um damit hochqualitative VST-Instrumentenplugins zu steuern. Was ich sonst aufwändig selbst in Soundfonts zusammengebastelt hatte, kam nun nach und nach als professionelle Samplebibliothek auf den Markt. Angefangen bei einem Schlagzeug bis hin zu ganzen Symphonieorchestern. Mit entsprechender Hard- und Software konnte ich nun so Stücke mit vorher nicht erreichter Qualität produzieren. Auf diesem Weg entstand dann auch 2007 mein Lied „Breaking through“, das Samplebibliotheken echter Instrumente mit Synthesizern kombinierte:

„Breaking through“ (2007), © Dominic Winkel

Viel mehr als Ah und Oh

Mit dieser Konfiguration, die sich bis heute nicht maßgeblich verändert hat, war ich endgültig in die Welt von Profimusikern eingetaucht. Zumindest, was die Möglichkeiten anbetrifft. Denn so wird meiner Kreativität und Leidenschaft selten Grenzen gesetzt. Ganze Orchester lassen sich zum Leben erwecken, sogar Chören Text zum Singen vorgeben, auch wenn dafür viel Feinarbeit für ein passables Ergebnis notwendig ist. So habe ich etwa in dem Stück „Sehnsucht“ den Samples eines Knabenchores von East West mit dem eingebauten „Wordbuilder“ mit viel Zeitaufwand einige deutsche Wörter entlockt:

„Sehnsucht“ (2011), © Dominic Winkel

Es ist eine Herausforderung, neben dem Vollzeitjob Familie und dem zweiten Vollzeitjob ausreichende Freiräume für die Musikproduktion zu schaffen. Es ist schwer, mal eben so was zu komponieren und auch zu produzieren – mit allem, was dazugehört. Wer sich mit Mixing und Mastering auskennt, der weiß, dass man dafür viel Erfahrung und Fachwissen braucht. Von einem trainierten Ohr mal abgesehen. Es ist und bleibt deswegen ein anspruchsvolles Hobby, bei dem gestern wie heute Technik und Musik auf geniale Art zusammentreffen. Das macht den Reiz aus, und deswegen liebe ich es.

„Wir lassen seinen Stern aufgehen“ (2013), eigene Instrumentalversion zum Sternsingerlied und Lied zum Onlinespiel „Atu auf der Flucht“ © Dominic Winkel

Mehr von mir gibt es übrigens hier unter Eigene Musik von mir zu hören oder auch auf Soundcloud. Darunter ein von mir produzierter Onlinespiel-Soundtrack und auch Kompositionen mit Gesang, die von einem Studio arrangiert und professionell produziert wurden.

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